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Date: 1998-09-14

Kein Crypto: Schutzlos gegen Info/Piraterie


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q/depesche 98.9.1

Kein Crypto: Schutzlos gegen Info/Piraterie

Helmut Spudich, SN-Redaktion Wien
14. September 98
Mit dem Kampf gegen Kinderpornos und organisierte
Kriminalität wird begründet, warum Verschlüsselungs-
programme zum Schutz der Privatsphäre im Internet de facto
verboten sind. Aber wer schlechte Absichten hat, hat auch
Kryptografie. Nur der anständige Bürger bleibt den Piraten
des Informationszeitalters ungeschützt ausgesetzt.

In Zeiten, in denen Politik und Behörden lautstark der
Kinderpornografie im Internet den Kampf ansagen und
ungeniert Kontrollen über das Internet verlangen, die bei
traditionellen Medien und privater Kommunikation undenkbar
wären, scheint das Anliegen der Electronic Frontier
Foundation (EFF) nur begrenzte öffentliche Sympathie zu
genießen. Seit ihrer Gründung im Jahr 1990, erklärt
EFF-Präsident Barry Steinhardt im Gespräch mit den SN,
widmet sich die gemeinnützige private Initiative einem Ziel:
dem Schutz der Privatsphäre im Internet. Denn ein
Briefgeheimnis ist dem Internet fremd: Jede Post, die über
das Netz transportiert wird, ist unverschlüsselt und kann
von Hackern und Gaunern ebenso wie von Arbeitgebern, den
Systemadministratoren der vermittelnden Computer oder
Polizeibehörden mitgelesen werden.

Dabei gäbe es dagegen einen wirksamen Schutz in Form starker
Kryptografie-Programme, mit denen Nachrichten (auch Bilder,
Ton oder Videos) verschlüsselt werden können; lesen kann
dann nur mehr, wem der Schlüssel zur Entschlüsselung
anvertraut wurde. Regierungen in aller Welt, allen voran die
USA, verhindern jedoch bisher wirksam den kommerziellen
Einsatz solcher Programme. Sie fürchten um die
Kontrollmöglichkeit, die sie derzeit noch zu haben glauben
und wollen die Verschlüsselungsmöglichkeiten darum
einschränken. Eine Möglichkeit, die von den USA favorisiert
wird: Jedes Verschlüsselungsprogramm muß mit einer Art
"Generalschlüssel" ausgestattet werden, der bei der Behörde
deponiert wird. Erlaubt ein Gericht das Abhören von
Nachrichten, dürfe sich die Exekutive des Generalschlüssels
bedienen - ähnlich wie telefonisches Abhören mit Erlaubnis
von Gerichten möglich ist.

Aber gerade Kinderpornografie oder organisierte
Kriminalität, die Schreckgespenster, mit denen Regierungen
ihre Haltung plausibel machen wollen, seien ungeeignete
Belege für das Verbot von Kryptografie zum Datenschutz. Denn
einerseits gebe es sehr wohl Programme für
Verschlüsselungen, derer sich Kriminelle bedienen können und
auch bedienen, sagt Steinhardt, "die in einer halben Stunde
aus dem Internet beschaffte werden können".

Bei Kinderpornografie müßten außerdem die Anbieter den
Kontakt mit ihren Kunden suchen, und den größten Erfolg
hätten Polizeibehörden in diesem Feld dank verdeckter
Ermittlung vorzuweisen. "In erster Linie geht man hier
online und versucht Kinderpornografie zum Schein anzukaufen.
Eine allfällige Verschlüsselung ist dann irrelevant, weil
dem Abnehmer der Schlüssel mitgeliefert wird."

Die eigentliche Herausforderung im Kampf gegen Kinderpornos
sei darum, sich auf eine gemeinsame Definition zu einigen:
In einigen US-Staaten beispielsweise sei es auch
ungesetzlich, sexuelle Handlungen mit Kindern abzubilden,
auch wenn die Darsteller rechtlich keine Kinder mehr sind;
"die letzte Verfilmung von Lolita wäre gegen diese Gesetze",
während die meisten Europäer dies nicht für strafwürdig
halten würden.

"Das Problem der Kinderpornos ist längst über die
Wirklichkeit hinaus aufgeblasen worden", meint Steinhardt.
Internationale Zusammenarbeit vorausgesetzt "reichen die
Gesetze aus, um Täter zu verfolgen, und man muß nicht das
Recht auf freie Meinungsäußerung beschneiden. Meine
neunjährige Tochter ist in einem öffentlichen Park
zweifellos grö-ßerer Gefahren ausgesetzt als im Internet.
Ja, es gibt Risiken, aber wir müssen sie in der richtigen
Perspektive sehen."

Die größere Gefahr für die Informationsgesellschaft sieht
Steinhardt hingegen durch "Informationspiraten und
Terroristen", die dank ungeschützten Datenverkehrs
kriminelle Handlungen setzen können. "Strom- und
Wasserwerke, öffentliche Dienste, Banken": Viele alltägliche
Dienste, für das Funktionieren der Gesellschaft nötig,
verlassen sich immer stärker auf vielfältige Formen der
Datenübermittlung und können dabei leichte Beute für
böswillige Zeitgenossen werden, da Übertragungen
unverschlüsselt erfolgen. "Der Staat muß auch dieses Risiko
seines Handelns sehen, wenn er keine Verschlüsselung
zuläßt".

Darum plädiert die EFF dafür, daß "der freie Markt anstelle
der Regierungen über den Gebrauch von Kryptografie
entscheidet", sagt Steinhardt. Denn bisher erlauben die USA,
die de facto bestimmen, was in anderen Ländern möglich ist,
nur den Export sehr schwacher Verschlüsselungsprogramme nach
dem Data Encryption Standard, DES. Zwar argumentiert die
US-Regierung, daß es "millionenteurer Supercomputer"
bedürfte, um solcherart verschlüsselte Information in einem
zeitaufwendigem Verfahren zu knacken; aber die Electronic
Frontier Foundation trat den Gegenbeweis an, indem sie um
200.000 Dollar einen Computer baute, der die Verschlüsselung
in zwei Tagen knackte.

In Wien sitzt im übrigen die zwischenstaatliche
Kontrollbehörde der "Wassenaarer Übereinkunft", die dieser
Tage im September neuerlich über das Exportverbot von
Kryptografie-Programmen berät, die als Dual Use Technolgy
(Technologie, die militärisch und zivil verwendet werden
kann) gilt und darum Ausfuhrbeschränkungen unterliegt.

Ein schmerzhafter Dorn im Auge der Regierungen: ein
kostenlos und öffentlich erhältliches Programm namens Pretty
Good Privacy (PGP, "ziemlich guter Schutz der
Privatsphäre"), das sehr starke und praktisch nicht
knackbare Verschlüsselungen ermöglicht. Der Trick, wie PGP
den Export aus den USA schafft: Die Autoren drucken den
Quellcode aus, auf dem das Programm beruht, und bringen das
keinen Beschränkungen unterliegende Buch außer Landes - dort
wird es dann wieder gescannt (in eine elektronische Datei
verwandelt), neuerlich zu einem lauffähigen Programm
kompiliert und via Internet zur Verfügung gestellt, etwa
unter www.pgp.de. Die USA wollen nunmehr durch Druck auf die
anderen 32 Staaten der"Wassenaarer Übereinkunft" erreichen,
daß PGP der Boden entzogen wird.

Aus der Starrköpfigkeit der USA könnte die Europäische Union
sogar handfesten Nutzen ziehen, indem sie die restriktive
Politik der Amerikaner nicht mitträgt und im Rahmen der
eigenen Software-Industrie die Entwicklung von
Verschlüsselungsprogrammen forciert. Denn daß Brain Drain,
die Abwanderung hochqualifizierter Spezialisten, auch in die
andere Richtung gehen kann, zeigt das Beispiel von
Digi-Cash, dem führenden Unternehmen bei der Entwicklung
anonymen elektronischen Geldes für den Gebrauch im Internet.
DigiCash, von dem US-Mathematiker David Chaum gegründet, der
als kryptografisches Genie gilt, siedelte sich vor einigen
Jahren in Holland an - nur um die US-Exportverbote zu
umgehen.

©Salzburger Nachrichten 1998

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edited by Harkank
published on: 1998-09-14
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