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Status Quo der Überwachungsunion
Europa
Nachdem das aktuelle Papier
ENFOPOL 19 in einer Nacht- und Nebelaktion am 7. Mai das EU-Parlament
passiert hat und vor seiner Verabschiedung durch den Rat der Innen-
und Justizminister steht [27.Mai], zeigt sich folgender Status quo zum
Thema pan-europäischer Lauschangriff.
Das während der heimischen
EU-Präsidentschaft unter Federführung der österreichischen
Mitglieder in der EU-Arbeitsgruppe K4 "Polizeiliche Zusammenarbeit"
["Enforcement Police"] erstellte und vom deutschen Internet-Magazin
Telepolis veröffentlichte Papier ENFOPOL 98 vom September
wurde in den folgenden beiden Revisionsvorgängen von seinen brutalsten
Passagen befreit.
Die waren freilich in den Erläuterungen
angesiedelt, während die Forderungen selbst nahezu vollständig
beibehalten wurden. Die Pläne zum routinemässigen und flächendeckenden
Abhören der gesamten elektronischen Kommunikation wirken nun harmloser,
aber sie sind es keineswegs.
Die einzigen substantiellen
Änderungen, nämlich die Abkoppelung des Komplexes Verschlüsselung
sowie jene der Überwachungspläne für das satellitengestützte
Mobiltelefon-Systems Iridium sind ausschliesslich auf taktische
wie technische Gründe zurückzuführen.
Nachdem es noch keine verbindlichen
EU-Standards zur Exportregelung der für den E-Commerce unerlässlichen
Verschlüsselungsprogramme gibt, und gegen die Pläne der Europolizei
gerade in diesem Punkt heftiger Widerstand seitens der Wirtschaftsministerien
und der Industrie zu erwarten ist, wurde diese Frage in andere EU-Gremien
abgeschoben.
Im Fall der grenzüberschreitenden
Satellitentelefonie führten hingegen juridisch-technischen Unwägbarkeiten
des Abhörens zur Ausgliederung.
Zum einen ist keine geographisch
genaue Ortung der abzuhörenden Zielperson möglich, womit sich
automatisch die Frage nach dem zuständigen gericht stellt.
Zum zweiten müsste jeder
Lauschangriff zusätzlich von der italienischen Justiz genehmigt
werden, da nur die in Italien positionierte Iridium-Masterstation die
erforderlichen Zugriffsmöglichkeiten bietet.
Im übrigen sind Forderungen
der "gesetzlich ermächtigten Behörden", wie
es in allen Enfopol-Papieren stereotyp heisst, unverändert. Man
will den "Zugriff auf den gesamten Fernmeldeverkehr, der von der
Rufnummer oder sonstigen Kennung des überwachten Telekommunikationsdienstes,
die die überwachte Person in Anspruch nimmt, übertragen wird...bzw
dort ankommt."
Von der "Zeichengabe für
Bereitzustand" angefangen, sollen schlicht "alle von der überwachten
Einrichtung erzeugten Signale" zugänglich gemacht werden, sowie
sämtliche technischen Dienste und Daten, die damit in Beziehung
stehen: Sowohl GSM wie Festnetztelefonie samt Anrufumleitungen,
Konferenzschaltungen, Pager, Voice Mail, E-Mails, WWW und FTP-downloads,
Newsgroups, Chat und alles andere. Sogar an ein- oder ausgehende
Verbindungen, die nicht zustande kommen, wurde gedacht.
All diese Daten wollen die
"gesetzlich ermächtigten Behörden" auch sofort: "Die verbindungsrelevanten
Daten sollten innerhalb von Millisekunden nach dem Anrufereignis...verfügbar
sein... um die Korrelation von Anrufereignis mit Anrufdetails zu erlauben."
Dagegen laufen vor allem die
Betreiber von GSM-Netzen Sturm, da die Auswertung dieser Verbindungsdaten
zwecks Abrechnung eine immense Belastung der Netze darstellt und deshalb
nur einmal täglich, in den verkehrssarmen Nachtstunden, durchgeführt
wird.
Ansonsten ergibt sich für
Europol die Notwendigkeit, "Überwachungsanordnungen von einem Staat
an einen anderen Staat weiterzugeben, damit der Diensteanbieter Überwachungen
aktivieren kann."
Für unbescholtene EU-Bürger/innen,
die mit einer im Ausland befindlichen Zielperson mobil telefoniert haben,
kann das bedeuten, dass ihre Daten an Behörden eines Drittstaats
weitergegeben werden. Dem Wortlaut des Papiers nach ist diese Praxis
nicht auf EU-Staaten eingeschränkt. Im Gegenteil, durch internationale
Rechtshilfe-Abkommen sind die Unterzeichnerstaaten des IUR zur Zusammenarbeit
verpflichtet.
Historisch gesehen sind die
die ENFOPOL-Pläne auf die Maastrichter Verträge zurückzuführen,
entwickelt wurden sie in den sogenannten ILETS den International
Law Enforcement Telecommunications Seminars Referatsleiter der nationalen
Polizeien, nicht nur von EU-Mitgliedsstaaten, sondern auch der USA und
Kanada, erarbeiten in den ILET-Gruppen gemeinsame Vorschläge und
technische Richtlinien und legen Standards fest.
Das ILETS traf sich erstmals
im November 1993 auf Einladung des FBI hin Quantico. Zu den Teilnehmern
zählten einige EU-Länder, Kanada, Schweden, Norwegen, Finnland,
Hong Kong, Australien, Neuseeland und die USA.
Die ILETs erarbeitete 1994
die International User Requirements (IUR) zum Abhören von Telekommunikation.
Darauf basiert der mit ENFOPOL fast deckungsgleiche FBI-Vorschlag "The
Communications Assistance for Law Enforcement Act" [CALEA], der im US-Kongress
schon mehrere Male am heftigen Widerstand der Industrie gescheitert
ist.
Von Nicht-EU-Staaten wurden
die IUR in einem Memorandum of Understanding als völkerrechtlich
bindend gezeichnet. Zwar wurden mit Beschluß des Rates der EU
vom 17. Januar 1995 die IUR bereits umgesetzt - doch nur für Telekommunikation.
Internet- oder Satellitenkommunikation wurde hier noch nicht erfaßt.
Die neuen Technologien erforderten
eine Anpassung, die im ENFOPOL 98-Papier erfolgte, die Ratsempfehlung
ist in Arbeit.
Mehr als eine Arbeitsgruppe
Gänzlich verschlossen
zeigen sich alle ENFOPOL-Dokumente, in denen zwar unablässig von
"gesetzlich ermächtigten Behörden" und "rechtmässiger
Überwachung des Kommunikationsverkehrs" die Rede ist, über
die Grundlagen der Überwachung, nämlich den Beschluss eine
ordentlichen Gerichts.
Nicht zuletzt, weil die Abfassung
des Enfopol-Papiers zeitlich in die EU-Präsidentschaft Österreichs
fällt, drängt sich hier eine Parallele zu aktuellen
Bestrebungen der österreichischen und deutschen Innenministerien
auf.
Sowohl das deutsche TKÜV
wie das österreichische Polizeibefugnisgesetz enthalten
einen Passus über vorbeugende "Gefahrenerforschung", womit eine
allgemeine, nicht kontrollierbare Lizenez zum Abhören beliebig
zu definierender Kommiunikationsverbindungen einhergeht.
Laut einem Bericht der Sunday
Times(22.11.98), sind beim Aufbau der EUROPOL in Holland nicht nur Polizeibeamte,
sondern auch Personen aus dem Nachrichtendienstbereich beteiligt. Dazu
zitiert das Londoner Blatt Ernst Uhrlau, den Geheimdienstkoordinator
des Kabinetts Schröder, der einen EU-eigenen Geheimdienst "als
logischen Entwicklungsschritt der Union" ansieht.
Hintergrund für die deutschen
Begehrlichkeiten nach einem EU-weiten Nachrichtendienst ist,
dass Frankreich und England über eigene, weltweite Lauschsysteme
der Militärs verfügen, Deutschland jedoch auf Beistellung
der Daten durch eine Drittmacht angewiesen ist.
Entweder durch das amerikanisch-britische
Echelon-System oder das namentlich nicht bekannte französische,
das von Neukaledonien bis Guayana mindestens 17 Abhörstationen
weltweit umfasst.
Wenn man vergleicht, wie sich
sowohl die Verfasser des neuen Polizeibefugnisgesetzes Geheimdienstagenden
eingeschrieben haben, dann bekommt das Stereotyp von den geseztlich
ermächtigten Behörden eine höchst bedrohlichen Unterton.
Sobald die Polizei fixe Schnittstellen
mit Standleitungen Zu GSM-Masterstationen & Internet-Exchanges,
wie die wichtigsten Netzknoten heissen, verfügt, dann könnte
sie die ersehnte, "vorbeugende Gefahrenerforschung"
selbst betreiben. So wurde es im zweiten Anlauf für das Polizeibefugnisgesetz
zum Schrecken der österreichischen Richterschaft wieder in eine
Vorlage geschrieben, die Ende März den Ministerrat passiert hat.
Sollte dieses Vorhaben noch
wider Erwarten Parlamentarier scheitern, könnte man die einmal
installierten Schnittstellen mit anderen "gesetzlich ermächtigten
Behörden" teilen, den Militärgeheimdiensten. Die haben
nicht nur in Österreich, sondern quer durch Europa, schon immer
"vorbeugende Gefahrenerforschung" betrieben, wie die Behörde
breit angelegte Abhöraktionen ohne irgendeine Kontrolle durch ordentliche
Gerichte euphemistisch nennt.
Text compiled by harkank@quintessenz.at